Gemeinden / Gemeinde Offenbach

Geschichte und Kirche

DIE ANFÄNGE DER ALT-KATHOLISCHEN BEWEGUNG IN OFFENBACH

Fast untypischerweise – Offenbach war weder Universitätsstadt, noch bestand eine Verbindung zu den Protestgruppen in Südbaden oder im Sudetenland – schlossen sich hier 1872 Katholiken zu einer Protestgruppe gegen das Unfehlbarkeitsdogma vom 18. Juli 1870 zusammen. Sie gründeten einen „Katholikenverein“.


Friedrich Michelis


Stadtrat Christian Haas

Der älteste Hinweis hierfür – zugleich ältestes noch vorhandenes schriftliches Dokument zur Gemeindebildung – ist ein „Aufruf an die Katholiken Offenbach’s und der Umgegend“ vom 2. Oktober 1872, der am 5.10.1872 in der Offen­bacher Zeitung erschien. Diejenigen Offenbacher Katholiken, welche das Unfehlbarkeitsdogma ablehnten, wurden zur Gründung eines (Alt-)Katholiken­vereins eingeladen. Dieses Dokument ist zwar nicht namentlich unterzeichnet, geht aber mit Sicherheit auf die Initiative des Stadtrates Christian Haas und seinen Freunden zurück, die später auch den Vorstand des (Alt-)Katholiken­vereins bildeten. Der tiefere Grund hierfür lag wohl – wie schon einige Jahre vorher bei der Gründung der „deutsch-katholischen“ (heute „frei-religiösen“) Gemeinde – darin, daß viele Katholiken in der liberal-protestantischen Atmosphäre der aufstrebenden Industriestadt Offenbach mit einer gewissen Enge ihrer Kirche nicht mehr zurechtkamen.

Schwierigkeiten traten auf in der Mischehenfrage, der Beichtpraxis, in manchen religiösen Formen (Reliquienverehrung, Ablässe, Gebühren für religiöse Amtshandlungen), in der Auseinandersetzung mit den rapide aufbrechenden Naturwissenschaften und in der politischen Auseinandersetzung. Eine teils freizügigere, teils auch biblischere, „evangelischere“ Form von Katholizität wurde gewünscht.
Die Alt-Katholikengruppe um Christian Haas konnte schließlich durch Anzeigen in der Offenbacher Zeitung zu einem Vortrag des geistlichen Philosophieprofessors Friedrich Michelis am 31.10.1872 in die „Schlosser’schen Liegenschaften“ einladen.

Michelis hatte schon den ganzen Oktober 1872 viele Vorträge an verschiede­nen Orten in der Pfalz gehalten und hat wohl nach Kontakten zu dem hiesigen provisorischen Alt-Katholikenverein diese Reise über Offenbach fortgesetzt. Friedrich Michelis, der 1870 wegen seiner Ablehnung des Unfehlbarkeits­dogmas exkommuniziert worden war und deshalb seine Professur in Brauns­berg (Ostpreußen) aufgeben mußte, war einer der redegewandtesten Agitato­ren gegen die römischen Herrschaftsansprüche und für die altkatholische Sache. Ein kurzer Schlagabtausch im Anzeigenteil der Offenbacher Zeitung zwischen Michelis und dem römisch-katholischen Kaplan Wassermann belegt die aufgeladene Stimmung der damaligen Zeit. Mehr als zwanzigmal rangiert die „alt-katholische Frage“ im Jahre 1873 als Thema eins auf der ersten Seite der Offenbacher Zeitung.
Der Vatikan exkommunizierte kurzerhand alle Unfehlbarkeitsgegner, ganz gleich, ob sie aus grundsätzli­chen dogmatischen oder biblischen Gründen das Dogma ablehnten, oder ob sie Gegner der Ohrenbeichte, des Zölibats, der lateinischen Gottesdienstsprache, des kirchlichen Gebühren- und Ablaßwesens oder bestimmter religiöser Praktiken waren und schrieb damit den Bruch endgültig fest.

Die Alt-Katholiken sahen keinen anderen Weg mehr, als selbständige, von Rom unabhängige katholische Gemeinden und Bistümer zu gründen. Der Name „Alt-Katholiken“, der sich 1872 allmählich einbürgerte, bezeichnete die bekenntnismäßige Stellung der Unfehlbarkeitsgegner: Man wollte katholisch bleiben, ohne die neuen Unfehlbarkeitsund Jurisdiktionsansprüche des Papstes anzuerkennen.

Gemeindekonstitution

Zur gleichen Zeit wurden in Offenbach Schritte zur förmlichen Gemeindegründung unternommen. Am 2.3.1873 verfaßten die Mitglieder des Offenbacher (Alt-) Katholikenvereins eine „Constitution“, in welcher sie feierlich das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit und die richterlichen Machtansprüche des Vatikans zurückwiesen und sich zugleich als Katholiken bekannten, die ihrem alten Glauben treu bleiben wollten
Diese Konstitution, in der auch das Recht auf Gemeindebildung, auf Abhaltung von Gottesdiensten und Anstellung von Geistlichen behauptet wurde, ist das eigentliche Gründungsdokument der alt-katholischen Gemeinde Offenbach. Wer sie unterschrieb – die Unterschriften wurden vom Bürgermeisteramt gegenge­zeichnet und gesiegelt – war von da an Mitglied dieser Gemeinde. Unter den ersten Unterschriften sind viele Alt-Offenbacher Namen. Am 22. September 1874 wurde von der großherzoglichen Regierung in Darmstadt die offizielle Errichtung einer „alt-katholischen Pfarrei in Offenbach und Bieber mit dem Sitze in Offenbach“ genehmigt.

Einzelschicksale

Aus allen Anfängen alt-katholischer Gemeinden wird berichtet, daß Alt-Katholiken wegen ihrer Überzeu­gung gesellschaftlich kaltgestellt, geschäftlich gemieden, persönlich verunglimpft und sogar tätlich ange­griffen wurden. Vor allem in römisch-katholisch geprägten Gebieten bekam die alt-katholische Minderheit oft große Schwierigkeiten. Im liberal-reformiert geprägten Offenbach, das einst auch die Hugenotten abgenommen hatte und über eine starke freireligiöse und eine große jüdische Gemeinde verfügte, herrschte dagegen ein toleranter Geist. Infolgedessen konnten sich die Alt-Katholiken dort relativ frei entfalten, wenn es auch zu gelegentlichen scharfen Wortwechseln zwischen römisch- und nichtrömisch gesinnten Katholiken kam. Erheblich schwerer hatten es dagegen die Alt-Katholiken im katholischen Bieber. Dem Buchbinder und Goldschnittmacher Michael Herzing wurde gesellschaftlich und geschäftlich von der römisch eingestellten Mehrheit das Leben so schwer gemacht, daß er im Jahre 1875 nach Offenbach umziehen mußte, um weiter sein Brot verdienen und seine Kinder unbehelligt zur Schule schicken zu können. Auch in anderen Familien hat sich noch bis heute der Bericht über persönliche oder geschäftliche Schikanen oder „Bekehrungsversuche“ erhalten.

SEELSORGE AM ANFANG

Der erste Pfarrer Adam Josef Steinwachs

Pfr. Adam Josef Steinwachs

Natürlich mußte das Gemeindeleben erst aus vielen Provisorien allmählich herauswachsen. Eine eigene Kirche gab es nicht. Ein Antrag auf Mitgebrauch der römisch-katholischen Kirche (St. Paul) wurde abgelehnt, da man die Alt-Katholiken als „neohaeretici“ (Neuketzer), wie sie in einer Instruktion des päpst­lichen Nuntius vom 12.3.1873 betitelt wurden, keinesfalls am gleichen Altar dulden wollte.Daher mußte die neue Gemeinde zunächst lange Zeit die Gast­freundschaft der evangelischen Nachbargemeinden in Anspruch nehmen. Der erste alt-katholische Gottesdienst fand schon einige Zeit vor der Gemeinde­gründung am 26.1.1873 in der Schloßkirche statt. Fast dreißig Jahre lang blieben die evangelische Stadtkirchengemeinde, die Schloßkirchengemeinde und die französisch-reformierte Gemeinde für die Alt-Katholiken die Gastgeber. Auch ein Pfarrhaus existierte nicht. Bis zur Erbauung des Pfarrhauses neben der Christuskirche im Jahre 1954/55 wohnten die Pfarrer in Mietwohnungen. Gemeindefeste und -versammlungen wurden in Gast­häusern, nach 1914 auch im Saal der evgl. Luthergemeinde in der Waldstraße abgehalten.
1875 schließlich bekam die Gemeinde mit Adam Joseph Steinwachs ihren ersten eigenen Pfarrer. Steinwachs, geb. am 11.3.1833 in Oberufhausen bei Fulda, war Priester der Erzdiözese Wien und hatte dort sogar ein Gebetbuch herausgegeben. Er wurde vom Wiener Ordinariat in erstaunlich freundlicher, sachlicher Art aus dem Dienst des Erzbistums entlassen und für seine neue Tätigkeit in Offenbach freigegeben.
Steinwachs leistete in der Aufbauphase der Gemeinde geradezu Übermenschliches: Regelmäßig wurden Gottesdienste in Offenbach, Frankfurt, Aschaffenburg, Oberursel, Hanau, Darmstadt und Heßloch (heute Rheinpfalz) angeboten; sogar in Wetzlar und Gießen waren zeitweilig Gottesdienstangebote.

Am 25.1 1.1901 wurde Steinwachs von Großherzog Ernst Ludwig der Orden Philipps des Großmütigen verliehen. Er starb am 5.5.1908 betrauert von einer großen Gemeinde. Die Gedenkreden, die an seinem Grabe gehalten wurden, sind noch erhalten und sprechen von einem Manne von großer Geradlinigkeit, Frömmigkeit und diakonischer Haltung. In der Christuskirche befindet sich bis heute eine Marmortafel, die dankend an ihn erinnert.

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